Benötigen wir spezielle Gottesdienste für „andere“?
Die Grundidee
„Gottesdienst für andere“ – Dieses Schlagwort, hört man immer wieder, wenn es um die Gottesdienstgestaltung geht. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der wir regelmäßig, einmal im Monat einen Gottesdienst für „Gäste“ gestalteten, um sie besonders anzusprechen.
An diesem Sonntag gab es dann ein Anspiel, eine Predigt, bei der wir sicher waren, dass sie suchende Menschen anspricht. Auch Moderation und Lobpreis überlegten, was sie anders machen könnten. Nach Ende des Gottesdienstes gab es dann noch Essen, zu dem jeder sehr liebevoll etwas mitgebracht hat. Doch es entstand schnell ein anderer Rhythmus, der nicht ganz so dicht war. Der Arbeitsaufwand war für diesen besonderen Gottesdienst immer erheblich.
Die Gäste halten sich nicht an den Termin
Eine andere Problematik war viel größer. Menschen auf der Suche kamen nicht unbedingt nur oder gerade zu diesem Termin. Sie besuchten uns ebenso zu den anderen, regulären Gottesdiensten, bei denen der Fokus nicht auf Gäste ausgerichtet war, sondern einfach auf uns als Gemeinde.
Mission: ein Auftrag für die Kirche
Das alles ist viele Jahre her und stand am Anfang einer persönlichen Reise. 2002 bin ich in den Dienst als Pastor gestartet und mein ganz persönliches Anliegen war, Gottesdienst für die Menschen zu gestalten, die noch nicht zu Jesus gehören. Ganz nach dem missionarischen Aspekt, dass Kirche für andere da sein muss.
Ich stellte fest, wann immer ich darüber sprach, erhielt ich Zustimmung. Ich war nicht allein. Viele Nachfolger:innen Jesu, mit denen ich mich austauschte, bestätigten, dass es darum geht.
Also überlegten wir gemeinsam, wie das gelingen kann. Es entstanden Gästegottesdienste, Familiengottesdienste, Gottesdienste, die von vorn bis hinten für suchende Menschen gestaltet waren.
Meine Trugschlüsse bei der Gottesdienstgestaltung für andere
Nur gab es ein Problem. Nur sehr wenige hatten, außer als Nachbar oder eventuell noch an der Arbeit, mit Menschen zu tun, die suchen.
Das Zweite, was ich feststellte, war, dass zwar 95 % oder mehr auch überzeugt waren, dass wir Menschen erreichen müssen. Doch hatten wir alle so eine gewisse Vorstellung, wie diese Menschen waren, was sie dachten und beschäftigte.
So war ich „ganz“ glücklich, dass es uns doch immer wieder gelungen ist, unsere Gottesdienste so zu gestalten, dass es anderen gefiel. Nur waren die anderen wir – wir Frommen – und auch nur zu besonderen Gottesdiensten. Ansonsten spulten wir unsere „normales“ Programm ab.
An dieser Stelle möchte ich mich entschuldigen, wenn all dies negativ oder verletzend wirkt. Vielleicht machen du und dein Team das ähnlich. Es ist ein sehr persönlicher Artikel, der aus meiner Sicht kommt und mein Erleben und meine Erkenntnisse schildert.
Wer sind eigentlich „die anderen“?
Ich merkte, dass das mit der Gemeinde oder dem Gottesdienst für „andere“ nicht wirklich echt in uns war, sondern etwas, was wir versuchten, ohne wirklich zu wissen, wer die anderen sind.
Eines Tages, wieder zu so einem besonderen Gottesdienst, ging die Tür auf und es kamen Menschen – und zwar viele Menschen. Dieser spezielle Gottesdienst hatte ihnen so gut gefallen, dass sie am nächsten Sonntag wiederkamen. Von einem auf den anderen Sonntag war der Gottesdienstraum doppelt so voll wie sonst.
Als Pastor predigte ich einfach meine Predigt. Mittendrin ging eine Hand hoch und eine Person fragte: „Was bedeutet das?“ Während der Lobpreiszeit klingelte ein Handy und jemand erklärte, gerade im Gottesdienst zu sein und jetzt nicht wirklich telefonieren zu können. Da waren sie, die „anderen“! Nennen wir sie hier, die Susis und Ottos von draußen. Den suchenden Menschen fiktive Namen zu geben, lässt sie die Anonymität verlieren und so können wir sie besser ansprechen.
„Die anderen“ sind wirklich anders
Mit einem Schlag waren wir eine Gemeinde für andere – weil „die anderen“ nun da waren. Sie hatten Namen und Interessen, Fragen und Gewohnheiten. Fragen und Dinge, die uns in der frommen Welt bisher nicht beschäftigt haben. Die Susis und Ottos beschäftigte etwas anderes, ja, dazu gehörten auch Fragen an Gott.
Was hat sich seither verändert?
Auch das liegt jetzt schon etliche Jahre zurück. Doch es hat mich nachhaltig verändert, meine Art, Gemeinde und Gottesdienst zu sehen, zu predigen. Ich bin heute vorbereitet auf Fragen, versuche, mit dem Zuhörenden in Kontakt zu sein, stelle auch selbst mal Fragen und das nicht nur rhetorisch.
Vor allem hat es meine Predigtinhalte verändert. Ich möchte, dass die Botschaft bei Susi und Otto ankommt. Das erfordert manchmal aber auch sehr viel Liebe und Geduld von den Marias und Aarons in unseren Gemeinden.
Für mich bleibt die Frage bestehen: für wen gestalte ich einen Gottesdienst?
Wie geht es dir damit?
Bei der Predigtplanung: Wen hast du vorgezogen? Die Susis und Ottos oder die Marthas und Aarons?
Ist für dich „Gemeinde für andere“ nur ein schöner Ausdruck oder füllst du ihn mit Leben? Wenn ja, wie machst du das?
Wir freuen uns über deine Nachricht oder einen Kommentar!